Theologie für Glaubende und Andersdenkende

Common Prayer

Common Prayer

Auf dem Weg zu einer Theologie des interreligiösen Gebets

 

Je näher die Religionen einander kommen, geographisch und gelegentlich auch spirituell, desto dringender wird die Frage nach der theologischen Legitimität interreligiösen Betens. Katastrophen wie der Tsunami in Südostasien, ein Grubenunglück in Deutschland oder der 11. September 2001 bedürfen einer gemeinsamen spirituellen Bearbeitung, zu der die Beteiligten unterschiedlicher religiöser Traditionen aufgerufen sind. Selbst der banale Alltag in Kindertagesstätten und Schulen fordert die Besinnung auf die Möglichkeiten eines interreligiösen Gebets heraus. Andererseits entstehen vergleichbare Probleme bereits innerhalb der innerchristlichen Ökumene.1 Theologisch zu klären ist daher erstens, wie denn das interkonfessionelle Gebet theologisch verteidigt werden kann und ob sich daraus etwas lernen lässt für die Legitimation und Gestaltung des interreligiösen Gebets. Zweitens bedarf es eines Blicks auf die Haltung nichtchristlicher Religionen hinsichtlich eines gemeinsamen Gebets untereinander und insbesondere mit Christen. Inzwischen haben auch in Europa nicht wenige Menschen selbst interreligiöse Erfahrungen.2 Das interreligiöse Gebet wurde, angestoßen durch das Weltgebetstreffen in Assisi 19873, in vielen Kirchen diskutiert4; es ist – in einem dritten Schritt – zu prüfen, welche Zwischenlösungen dabei erreicht worden sind. Schließlich sind die Möglichkeiten eines inter- und nicht nur multireligiösen Gebets aus christlicher Sicht theologisch zu durchdenken. Ich werde abschließend einen konstruktiven Vorschlag einbringen.

 

1 Interkonfessionelles Gebet

 

1.1 Die Problematik

 

Das interkonfessionelle Gebet innerhalb des Christentums ist keineswegs selbstverständlich. Zwar gehört es zu den ökumenischen Urerfahrungen. Bewegt berichten die Teilnehmer der Weltkirchenkonferenz in Amsterdam 1948, welch ein tiefes Erlebnis es für sie gewesen sei, gemeinsam das Vaterunser zu sprechen, jeder in seiner Sprache. Aber noch der Codex Iuris Canonici 1917, die bis 1983 gültige verbindliche Sammlung des katholischen Kirchenrechts, hatte den Katholiken untersagt, am Gottesdienst von Nichtkatholiken teilzunehmen.5 In der Tat: Kann man sich vorstellen, dass der Papst zusammen mit dem von ihm als Ketzer verurteilten Martin Luther zu beten bereit gewesen wäre oder dass Luther mit dem Papst, in dem er den Antichrist sah, hätte in eine Gebetsgemeinschaft treten wollen? Die Zeiten haben sich geändert, aber noch immer lehnt die katholische Kirche ökumenische Gottesdienste zu den von ihr für die Messe reservierten Zeiten an Samstagen und Sonntagen ab. Trotzdem kommt es immer wieder zum gemeinsamen nicht nur multi-, sondern interkonfessionellen Gebet. Theologisch bleibt allerdings offen, was etwa Protestanten zu denken haben, wenn die Allerheiligenlitanei oder das „Salve Regina“ erklingt.

Die Einwände gegen ein gemeinsames interkonfessionelles Gebet kommen heute vor allem von ostkirchlich-orthodoxer Seite. Orthodoxe Christen können sich dabei auf eine in ihrer Reichweite allerdings umstrittenen Synode in Karthago aus dem Jahr 398 berufen, die im Kanon 72 dekretiert: „Mit Häretikern darf man weder beten noch Psalmen singen.“6 Der am Orthodoxen Theologischen Seminar St. Vladimir in Crestwood / New York lehrende Theologe Peter Bouteneff stellt fest: „Orthodoxe Christen müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, ob es ihnen kirchenrechtlich überhaupt gestattet ist, mit Nicht-Orthodoxen auch nur gemeinsam zu beten.“7 Sein Kollege Kondothra M. George am Orthodoxen Theologischen Seminar in Kottayam / Kerala zählt eine Liste der Grundelemente auf, die „jegliches gemeinsame Gebet“ seiner Meinung nach aufweisen muss: Lobpreisung des Mysteriums der Trinität, die Erinnerung an die Heiligen und Märtyrer und anderes mehr.8 Man befürchtet bei interkonfessionellen Gebeten Inkohärenz und Oberflächlichkeit. Dementsprechend enthält die 2001 veröffentlichte Charta Oecumenica, eine Vereinbarung zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen und der Deutschen Europäischen Bischofskonferenzen, unter der Überschrift „Miteinander beten“ nur fest, dass es dazu unterschiedliche Auffassungen gibt. In der anschließenden Selbstverpflichtung fehlt das gemeinsame Gebet: „Wir verpflichten uns, füreinander und für die christliche Einheit zu beten; die Gottesdienste und die weiteren Formen des geistlichen Lebens anderer Kirchen kennen und schätzen zu lernen; dem Ziel der eucharistischen Gemeinschaft entgegen zugehen.“9

Wenn es nun schon innerhalb der Christenheit nicht möglich sein soll, dass Menschen, die auf den Namen des dreieinen Gottes getauft sind und ebendiesen dreieinen Gott anrufen, gemeinsam beten – wie sollte dann ein interreligiöses Gebet theologisch vertretbar sein? Sollte die Frage nach dem interreligiösen Gebet in irgendeiner Weise aus der Diskussion des interkonfessionellen Gebets Nutzen ziehen können? Nun haben sich Betende in den verschiedenen Kirchen durch kirchenrechtliche Regelungen nicht abhalten lassen. Das eindrucksvollste Beispiel dafür ist der inzwischen in vielen Ländern und von fast allen Kirchen akzeptierte Weltgebetstag der Frauen.10 Auch das interkonfessionelle Engagement von Basisgemeinden darf hier genannt werden. Ein Grundansatz war wohl oftmals: „If we can’t pray together, we can’t stay together.“ Doch wie sehen die theologischen Lösungen aus?

 

1.2 Lösungsansätze

 

Ein vielfach praktizierter Vorschlag bestand darin, sich über die präzisen Aussagen einer konfessionellen Dogmatik und die strengen Regelungen des Kirchenrechts hinwegzusetzen, womit die Protestanten am wenigsten Schwierigkeiten hatten. Nach orthodoxem Sprachgebrauch heißt dieses Verfahren: Man handelt nicht „kat’ akribian“, sondern „kat’ oikonomian“. Doch das ist keine theologische Lösung, abgesehen davon, dass unklar bleibt, wie weit sich das „kat’ oikonomian“ erstrecken darf. Ein weiterer Vorschlag legte nahe, auf das gemeinsame interkonfessionelle Gebet zu verzichten und von konfessionell bestimmten Gottesdiensten auszugehen, bei denen liturgische Gastfreundschaft gewährt werden könne. Dies läuft jedoch auf ein multikonfessionelles Gebet hinaus; man betet im Grunde nicht mit-, sondern nebeneinander. Eine dritte Anregung besteht darin, das gemeinsame interkonfessionelle Gebet von der eigentlichen Gottesdienstsphäre zu trennen; dabei empfehle es sich, dass offizielle Amtsträger an entsprechenden Veranstaltungen gar nicht erst teilnehmen.11 Doch ist es eine Frage, wie man das Beten außerhalb des Gottesdienstes vom Gebet im Zusammenhang der Liturgie und der Sakramentsfeier sollte trennen können. Trotzdem ist dies ein Punkt, der in der Diskussion um das interreligiöse Gebet erneut auftauchen sollte. Jedenfalls scheint sich das Problem des interreligiösen Gebets nicht von Lösungsmodellen des interkonfessionellen Gebets her zu erschließen. Sollte der Weg eher umgekehrt zu einem vertretbaren Ziel führen?12

 

2 „Interkonfessionelles“ und interreligiöses Gebet bei den nichtchristlichen Religionen

 

2.1 „Interkonfessionelle“ Erfahrungen in nichtchristlichen Religionen

 

Innerhalb aller Religionen gibt es Aufspaltungen und „Konfessionen“, die sich nicht ohne weiteres gegenseitig anerkennen.13 Oft entstehen dabei Asymmetrien: Neben der „mainstream“-Religion stehen eine oder mehrere abweichende Gruppierungen. Der Hinduismus stellt ohnehin ein Geflecht von religiösen Traditionen dar, die man nicht eigentlich als „Konfessionen“ gegeneinander profilieren würde. Shivaiten und Vishnuiten sind einander schon darin verwandt, dass sie sich wie gläubige Hindus insgesamt, nicht so sehr an dogmatischen Fixierungen oder gar an einer klaren Gebetsadresse als an der Hingabebereitscheft des Betenden selbst orientieren. Als zusätzliche Begründung interreligiösen Verhaltens könnte man die Zusage Krishnas zitieren, er werde die Gebete aller empfangen, auch wenn sie an andere Götter gerichtet sind.14 Theravada- und Mahayana-Mönche können ohne Probleme im selben Kloster miteinander leben und ihren jeweiligen religiösen Pflichten nachgehen, will doch der überweltliche Buddha seine Weisheit ohnehin unterschiedslos allen, Guten wie Bösen, seine Weisheit zuwenden, um sie zur Erlösung zuführen.15 Wie es dagegen mit der Anerkennung zum Beispiel japanischer Neu- und Neuneu-Religionen durch den mainstream-Buddhismus steht, ist wiederum eine eigene Frage. Spannungen gibt es offenbar bereits innerhalb der Jodo-Shin-Traditionen.

Wirklich bedrängend aber wird das Problem erst in Judentum und Islam. Innerhalb des Judentums sehen Orthodoxe und Ultra-Orthodoxe kaum eine Möglichkeit für das gemeinsame Gebet mit Reformgemeinden. Jedenfalls werden Gebete, die aus dem liberalen Judentum stammen, von der Orthodoxie generell nicht anerkannt.16 Im Islam dürfte das gemeinsame Gebet einer sunnitischen Moscheegemeinde mit Aleviten, die die „fünf Säulen“ nicht als verpflichtend anerkennen, oder mit Ahmadiya-Gläubigen, die Muhammad nicht als den letzten Propheten verstehen, völlig ausgeschlossen sein.17 Von den genannten Restriktionen her ergeben sich dann auch Gesichtspunkte für das Verständnis eines interreligiösen Gebets in den betreffenden Religionen.

 

2.2 Interreligiöses Gebet mit Christen?

 

Nicht nur in Deutschland und Europa lässt sich beobachten, dass Initiativen zu interreligiösem Dialog und Gebet oft von Christen ausgehen.18 Welches Interesse haben nichtchristliche Religionen bzw. deren Gläubige am gemeinsamen Gebet mit Christen? Hindus haben in der Regel keine Schwierigkeiten, an einem gemeinsamen Gebet auch mit Christen teilzunehmen, aber sie haben auch kaum Bedürfnis danach. Das interreligiöse Gebet ergibt sich bei bestimmten Festen, an denen Angehörige vieler unterschiedlicher Religionen teilnehmen (Sarva Dharma Sammelanas – „public get-togethers of different religions“).19 Es wird vor allem in christlichen Schulen zur Selbstverständlichkeit – in einer Form, die niemanden verletzt („non-sectarian“). In den hinduistischen „bhajans“ wie in den christlichen Gebeten wird „Gott“ angerufen bzw. „The One“, wobei das Englische es offen lassen kann, ob es um „den Einen“ oder „das Eine“ geht.20 Buddhisten entziehen sich im allgemeinen nicht einer mit Christen gemeinsamen Meditation, verwahren sich aber gegen eine Übernahme buddhistischer Meditationspraxis in den christlichen Kontext, bei der weltanschauliche Hintergrund buddhistischer Spiritualität entschlossen ausgeblendet wird.21

Wie sieht es damit in Judentum und Islam aus? Trotz der Behauptung in dem jüdischen Dokument „Dabru emet“, dass Christen und Juden „denselben“ Gott anbeten, stellen dies – angesichts der christlichen Trinitätslehre – viele Juden infrage, zumal die Orthodoxen. Für Muslime ist ohnehin klar, dass ein mit Christen (und Juden) gemeinsames Gebet nicht im Rahmen des Pflichtgebets (salat) oder auch des Gottgedenkens (dhikr) erfolgen kann, sondern allenfalls als privates Gebet (dua). „Bei religiösen Begegnungen muss offen bleiben, wieweit Juden und Muslime wegen ihrer verschiedenen Gottesvorstellungen das christliche Gebet und das Gebet des jeweils anderen tatsächlich anerkennen.“22 Der Wille zu interreligiösem Gebet oder auch nur zu der Erwägung der theologischen Möglichkeit eines solchen scheint insgesamt bei den nichtchristlichen Religionen nicht sehr ausgeprägt zu sein. Wie steht es damit im Christentum?

 

3 Christliche Optionen

 

3.1 Multireligiös ja, interreligiös nein!

 

Einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem gemeinsamen Beten der Religionen war ohne Zweifel das von Johannes Paul II. angeregte und geleitete Weltgebetstreffen in Assisi.23 Vertreter von Buddhisten, Hindus, Jainas, des Islam und andere sprachen nach einander – mit jeweils anschließender Pause zur Besinnung – Texte aus ihrer Tradition. Dieses Vorgehen forderte sofort kritische Stimmen heraus, in Deutschland insbesondere seitens evangelikaler Gruppierungen. Doch der Papst hatte schon fünf Tage vor Beginn des Treffens in Assisi in einer Generalaudienz präzise formuliert, man könne „sicher nicht zusammen beten, aber man kann zu beten sein, wenn die anderen beten.“24 Dies ist dann oft verkürzt zitiert worden: Man sei zusammen gekommen, um zu beten, nicht aber gekommen, um zusammen zu beten. Auf evangelischer Seite wurde vorgeschlagen, zwischen multireligiösem und interreligiösem Beten zu unterscheiden.25 Das Modell Assisi entsprach dann „nur“ dem multireligiösen; interreligiöses Beten war – Gott sei Dank! – vermieden. Diese Linie halten seither viele von den entsprechenden Referaten der Landeskirchen herausgegebene „Arbeitshilfen“ ein. Die Gottesvorstellungen der Religionen seien allzu verschieden, Buddhisten verzichteten ganz auf sie; Synkretismus müsse verhindert werden26; man dürfe den religiösen Partner nicht vereinnahmen27, das Gebet könne –im schlimmsten Fall – zur Abwerbung verwendet werden; schließlich: „Die Teilnehmenden laufen Gefahr, ihre religiöse Identität aufzugeben.“28

 

3.2 Gebremste Multireligiosität

 

Trotz der damit erreichten „Klärung“ ruderte der Vatikan wieder zurück. Die Fortsetzung der Weltgebetstreffen wurde in die Hand der Gemeinschaft von S. Egidio gelegt und neu gestaltet. Schon in Assisi 1986 hatten sich die Vertreter der Religionen zunächst an getrennten Orten getroffen, um dann schweigend zur gemeinsamen Schlussveranstaltung zu ziehen, bei der dann die verschiedenen Texte „multireligiös“ nach einander vorgetragen werden sollten. Inzwischen beten die unterschiedlichen Religionsgemeinschaften zunächst in deutlicher von einander getrennten Räumen und verzichten dann auf öffentliche gemeinsame Gebete. Bei der Schlusszeremonie werden lediglich Resolutionen und Grußworte verlesen, Kerzen entzündet und ein Friedensgruß ausgetauscht.29 Dementsprechend empfiehlt die Deutsche Bischofskonferenz, Vertreter verschiedener Religionen sollten „nicht gemeinsam beten, sondern ein jeder aus seiner Tradition heraus“ sprechen.30 So sei auch in den Schulen vorzugehen: Bei besonderen Anlässen (z. B bei Schulgottesdienen zu Beginn des Schuljahres) „könne die Glaubensgemeinschaften an getrennten Orten ihren jeweilige Gottesdienst feiern; anschließend kann im Rahmen einer Begegnung in der Schule ein kurzes Grußwort eines Vertreters bzw. einer Vertreterin der jeweiligen Glaubensgemeinschaft erfolgen.“ Wenn dieses Vorgehen im nächsten Satz als „innerschulische Integrationsbemühung“ gelobt wird, kann ich das nur als zynisch bezeichnen.31

 

3.3 Multireligiös – interreligiös: eine unglückliche Alternative

 

Die damit erreichte „Lösung“ ist weder langfristig praktikabel noch auch logisch und theologisch stichhaltig. Folgende Fragen legen sich nahe: Wie sollte sich multireligiöses von interreligiösem Gebet klar unterscheiden lassen? Nach den genannten Kriterien ist es nur gegeneinander abzusetzen, wenn religiöse Texte öffentlich vorgetragen werden. Wie steht es aber um das gemeinsame schweigende Gebet von Mitgliedern unterschiedlicher Religionen? Beten sie nebeneinander oder miteinander? Beten sie nicht neben- und miteinander? Werden aber Texte im Sinn des multireligiösen Gebets vorgetragen, wie verhalten sich die Angehörigen der jeweils anderen Religion(en)? Sollen sie neugierig zuhören, auf einen black out hoffen oder nicht doch im Sinn ihrer Religion “mitbeten“? Wie ist es zu verstehen, wenn ich während des von Mönchen rezitierte Namu Amida Butsu in einem buddhistischen Tempel das Vaterunser bete? Sodann: Was unterscheidet das hier vorgetragene Modell von dem, was ohnehin die Realität darstellt, dass nämlich die Angehörigen einer Religion an ihrem jeweiligen Ort beten? Liegt der Gewinn in der Synchronisierung (die innerchristlich schon bei der Frage nach einem gemeinsamen Sonntagsgottesdienst scheitert)? Allerdings könnte es beispielsweise für Judentum, Christentum und Islam durchaus weiterführend sein, wenn sich die Religionen als Gebetsgemeinschaften entdeckten und für einander Fürbitte leisteten – die Muslime für Judentum und Christentum am Freitag, die Juden für Islam und Christentum am Sabbat, die Christen am Sonntag für Islam und Judentum. Multireligiöses Gebet! Aber darüber hinaus fragt sich angesichts der unterschiedlichen Glaubensvorstellungen auch innerhalb einer Religionsgemeinschaft , ob nicht alles Beten „multireligiöse“ Züge hat! Drittens: Wie ist es zu beurteilen, wenn Angehörige der einen Religion Gebetstexte aus einer anderen Tradition übernehmen? Im katholischen „Gotteslob“ finden sich nicht wenige Lieder aus dem Evangelischen Gesangbuch, muss das nicht als sogar unerträglich „interreligiös“ gelten? Der Jesuit Ronnie Prabhu, der in Bangalore arbeitet, bekennt, dass er in bestimmten Momenten Texte aus der Bhagavadgita bete32 – muss man ihn nicht zur Ordnung rufen? Schließlich: Zielt nicht das multireligiöse Gebet, wenn es ernst gemeint ist, ohnehin auf seine Erfüllung im interreligiösen Gebet? Wie aber wäre interreligiöses Beten aus christlicher Sicht zu legitimieren?

 

4 Das integrative Gebet

 

Die christliche Theologie hat im Grunde drei Möglichkeiten, mit dem Problem eines interreligiösen Gebets umzugehen: Sie kann es ablehnen, reduziert akzeptieren oder eben doch aufgrund ihres Ansatzes bejahen.

 

4.1 Ablehnung

 

Die Ablehnung des interreligiösen Gebets wird in der Regel mit biblischen Aussagen oder mit dem trinitarischen Dogma begründet. Als Beispiel für den Versuch einer biblischen (und am lutherischen Bekenntnis orientierten) Argumentation sei eine Stellungnahme des Arbeitskreises Bekennender Christen in Bayern genannt.33 Ihre Zwischenüberschriften lauten u.a.: „Nicht alles wird erhört“, „Liebe freut sich der Wahrheit“, „Jeder bete zum lebendigen Gott“. Argumentiert wird u.a. mit der alttestamentlichen „Kritik an interreligiösen Gottesdienstformen“ (vgl. Jer 10). Gott erhöre nichts, was „seinem Willen zuwider“ ist (Jer 7,16). Man beruft sich auf „Gottes Wort“ und zitiert u.a. Phil 2,9, Apg 2,21; Apg 4,12; Joh 3,16. Es ist zuzugeben, dass sich das alttestamentliche Gottesvolk (vgl. aber auch Jona 1,5f!) und die junge Christenheit (vgl. aber auch die damalige Offenheit gegenüber antiker Philosophie!) interreligiöses Gebet tatsächlich nicht vorstellen konnte. Aber es dürfte schwierig sein, die damaligen Optionen auf den heutigen Stand religiöser Globalisation zu übertragen.

Die trinitarische Argumentation geht davon aus, dass der Glaube an Gottes Dreieinheit das Proprium christlichen Betens ausmacht. Spätestens seit Origenes weiß man: „Angemessen (…) ist es, das mit einer Lobpreisung begonnene Gebet mit einer Lobpreisung abzuschließen, indem man den Vater des Weltalls rühmt und preist durch Jesus Christus im Heiligen Geist, dem die Ehre sei in Ewigkeit.“34 Sollte damit nicht jedes interreligiöes Beten ausgeschlossen sein, zumal die Weltreligionen den trinitarischen Glauben teils implizit, teils explizit von sich weisen?

Die Handreichung der EKD „Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland“ argumentiert weder biblisch noch trinitarisch. Sie dekretiert: „Das interreligiöse Beten kommt aus theologischen Gründen nicht in Betracht.“ Aber auch multireligiöse sollte wohl eher vermiden werden, da es „leicht als interreligiöses Beten wahrgenommen oder gedeutet werden“ könne, und dieses Missverständnis sei „zuverlässig zu vermeiden“.35 Argumentiert mit der oberflächlichen und verletzenden Bemerkung, die „Feststellung des ‚Glaubens an den einen Gott’“ trage „nicht sehr weit.“36

 

4.2 Reduzierte Anerkennung

 

Vorstellbar scheint interreligiöses Gebet jedoch durch eine eklektisch reduzierendes Verfahren. Schon die Problematik des interkonfessionellen Gebets hat deutlich gemacht, dass es – trotz der dagegen geltend zu machenden Bedenken – sich jedenfalls empfiehlt, zwischen dem Gebet und seiner Verankerung in den jeweiligen liturgischen Traditionen der verschiedenen Kirchen zu lösen. Übertragen auf die Welt der Religionen würde das bedeuten: Interreligiöses Beten von Christen kann mit Muslimen natürlich nicht vollzogen in der Form der „salat“ und des „dhikr“, aber in der Weise der „dua“, wie sie vor allem von den islamischen Mystikern gepflegt wird.37 Diesen Weg geht das Silsilah-Gebet auf den Philippinen, das „a chain of unity with God“ intendiert.38 Der gemeinsame Nenner wäre Gehorsam und Vertrauen. Im Blick auf hinduistische Traditionen ist es möglich im Zusammenhang nicht der kultischen Verrichtung einer „puja“, aber doch als „bhajan“ an den einen Gott. Das entspricht einer in Indien vielfach geübten Praxis.39 Die gemeinsame Basis bestünde in Liebe und Hingabe. Mit Buddhisten ist interreligiöses Beten nicht möglich im Sinne von Anrufung eines Mahayana Bodhisattvas, aber doch in Form einer ungegenständlichen Meditation, wie beispielsweise im Zen geübt wird. Das gemeinsame Ziel wäre Selbstaufgabe und „Erwachen“. Schwieriger ist die Frage im Blich auf das Judentum; Christen glauben, zu dem Gott zu beten, der sich dem alttestamentlichen Gottesvolk bezeugt hat, und empfinden es von daher als selbstverständlich gemeinsam mit Juden beten zu können. Der gemeinsame Ausgangspunkt ist die erfahrene Treue Gottes. Das Gloria Petri am Ende einer Psalmenlesung wird von ihnen nicht als Widerspruch wahrgenommen, was aber aus jüdischer Perspektive anders aussieht.

Die eklektische Reduktion ist, trotz mancher Möglichkeiten, die sie zu eröffnen scheint, theologisch nicht wirklich befriedigend. Das gilt für alle Beteiligten. Es ist die Frage, inwieweit sie sich überhaupt auf sie einlassen können. Sie impliziert trotz allen guten Willens zur gegenseitigen Verständigung ein Moment der Unehrlichkeit. Sie lässt den Partner nicht als den gelten, der er ist, und sie fordert auch vom Christen, dass er sich mit seinem vollen Bekenntnis zurückhält. Wie dieses Problem seitens der nichtchristlichen Religionen lösen ist, wird von diesen selbst zu erarbeiten sein. Wie könnte eine Lösung aussehen, die dem Christen ermöglicht, beim interreligiösen Gebet ein gutes Gewissen zu haben?

 

4.3 Bejahung

 

Wie diejenigen Theologen, die das interreligiöse Gebet explizit oder mindestens implizit ablehnen, versuchen auch diejenigen, die es bejahen, biblisch zu argumentieren. Dabei werden insbesondere die in der Bibel genannten Bundesschlüsse ins Spiel gebracht: Gottes Bund mit Noah (Gen 9, 9-17), mit Abraham (Gen 17, 1-7), der Bundesschluss am Sinai (Ex 24,3-11) und die Verheißung eines neuen Bundes (Jer 31, 31-33; bezogen auf Lk 22,20).40 Gerda Riedl verwendet in ihrem groß angelegten Werk „Modell Assisi“ mehr als 8o Seiten auf die Untersuchung der der biblischen Aussagen über die „Gebete der Völker“. Ihr Ergebnis ist ein heilsgeschichtliches Schema, das nach dem Verfahren „Anknüpfung im Widerspruch“ vom Alten Testament her gesehen „Heil für die Völker und Israel“, vom Neuen Testament her „Heil für die Völker, Israel und die Kirche“ verheißt, letzteres „präsentisch gültig – eschatologisch endgültig“.41 Auch einzelne biblische Aussagen werden von manchen Autoren zur Geltung gebracht. „Wir wissen nicht, was wir beten sollen“ – „der Geist selbst vertritt uns mit unausspechlichem Seufzen“ (Röm 8,26). „Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Liebe, Geduld …“ ( Gal 5,22). „(U)nser Wissen ist Stückwerk“ (1 Kor 13,8-12). Alle diese Versuche machen aber einen eher krampfhaften Eindruck, da das Problem des interreligiösen Gebets nun einmal in der Bibel direkt nicht angesprochen wird. Es bedarf offenbar eines übergreifenden Ansatzes.

 

4.3.1 Trinitarische Hilfestellung

 

 

Alles Beten, auch wenn es sich als ungegenständliche Meditation äußert, stellt eine Weise von Kommunikation dar. Es gibt einen „Absender“ und eine „Adresse“. Die großen Widersprüche zeigen sich beim Verständnis der „Adresse“, vergleichsweise große Einigkeit herrscht bei den „Absendern“.

Die Schwierigkeiten hinsichtlich der „Adresse“ liegen nicht nur im Unterschied zwischen nicht-theistischen Meditationsformen in Hinduismus und Buddhismus einerseits und dem theistischen Gottesverständnis der sogen. monotheistischen Religionen. Auch bei diesen selbst ist die „Adresse“ nicht eindeutig. Was heißt näherhin „der eine Gott“? Meint es eine Identität des Gottes, dem sich Juden, Christen und Muslime zuwenden? Phänomenologisch ließe sich das keinesfalls begründen. Wir haben ja alle, vulgär-ökumenisch ausgedrückt, „den gleichen“ Gott? In Lumen Gentium 16 wird behauptet, dass die Muslime „mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird.“ Woher weiß dies das Konzil? Die schon genannte Erklärung „Dabru emet“ geht davon aus, dass Juden und Christen „denselben“ Gott anbeten; worauf gründet sich diese Überzeugung? An den Gottesbegriffen selbst lassen sich solche Behauptungen nicht verifizieren. Wie sieht es schließlich im Blick auf das hinduistische Pantheon aus, wenn dieses auch neohinduistisch stärker als Einheit gesehen wird? Ebenso tragen die in sich vielfältigen buddhistischen Vorstellungen zur Klärung der „Adresse“ des Betens nichts bei, zumal sie sich der Rede von „Adresse“ ohnehin verweigern würden. Blickt man auf die Adresse des Betens, so ergibt sich, dass interreligiöses Gebet den Angehörigen aller Religionen prinzipiell unmöglich sein muss.

 

Ganz anders sieht die Lage im Blick auf die „Absender“ von Gebeten aus. Hier scheint es eine große Einheitlichkeit zu geben. Eine ähnliche Grundhaltung ist offenbar bei ihnen allen anzutreffen: Demut, Zuversicht, Sehnsucht nach Geborgenheit und Frieden. Gebete in irgendeiner Form gibt es in allen Religionen, und man kann sie dann nach verschiedenen Mustern einteilen, wie das etwa Friedrich Heiler versucht hat.42 Gerda Riedl hat in einem aufwendigen religionswissenschaftlichen Untersuchung die Strukturverwandtschaft allen Betens herausgearbeitet. Sie beobachtet zehn „(u)biquitäre Strukturanalogien unterschiedlichster Gebetsweisen“: Überall begegneten Gebetsadressat, Gebetssubjekt, Gebetscharakter, Gebetslokalität, Gebetszeiten, Gebetsformen, Gebetsarten, Gebetsmotive, Gebetsintention.43 Die Menschheit ist eine Gemeinschaft des Angewiesen Seins, des Herausgefordert Seins, des Antworten Müssens. Insofern ist alles Beten ein responsorisches Geschehen; es reagiert auf Situationen der Not oder des Glücks, und sei es nur im Sinn eines Versuchs der „Kontingenzbewältigung“.44 Mit einem Wort: „Beten ist menschlich.“ 45 So gesehen, sollte interreligöses Beten kein Problem darstellen.

Woher definiert sich Gebet – vom Absender oder vom Adressaten (oder vom Anliegen) her?

Wie auch immer in anderen Religionen sein mag: Die christliche Theologie sieht die Absender eines Gebets nicht nur im Gegenüber zum Adressaten ihres Betens, sondern bereits den Absender vom Adressaten her. Wer zum dreieinen Gott betet, weiß sich vom dreieinen Gott geschaffen, geliebt und zur Vollendung gerufen. Diese Überlegung wird, wie gesehen, als schärfste Abweisung interreligiösen Betens verwendet. Aber dies überzeugt nicht.

 

4.3.2 Trinitarisch begründete Interreligiosität

 

Das trinitarisch verstandene Gebet eröffnet spezifische spirituelle Möglichkeiten, zunächst für den christlichen Beter selbst. „Das trinitarische Gebetsverständnis überwindet die Alternative zwischen dem theistischen ‚Sender-Empfänger-Prinzip’ und dem nicht-theistischen ‚Atmosphäre-Modell’: Der bittende Mensch, inmitten der betenden Gemeinde, sieht sich als Kind Gottes, als Bruder Christi und als erfüllt vom Heiligen Geist. Er findet damit den Ort seines Bittens Gott gegenüber und zugleich in Gott. Er nimmt sich wahr inmitten eines trinitarischen Geschehens, das ihm die Anrede Gottes als eines ‚Du’ möglich macht und das doch nie in diesem ‚Du’ aufgeht.“46 Damit ist für die Möglichkeit interreligiösen Betens ein neuer Ausgangspunkt gewonnen: Die Gebetsadresse ist aus der theistischen Verengung befreit; Gott ist größer, der unsere Vorstellungen und Festlegungen unendlich Übersteigende, dem gegenüber gewiss eine Vielzahl von Möglichkeiten des Angerufen-Werdens entspricht. Sodann: Der Gebetsabsender steht nicht nur in Distanz dem unendlichen Gott gegenüber, sondern er weiß sich in seinem Beten – auch gegen allen Augenschein – von der Nähe Gottes umfangen und getragen. Sein Gebet ist ein Geschehen zwischen Gott, der ihm die geschöpflichen Möglichkeiten des Responsorischen gewährt und in Jesus Christus neu eröffnet, und Gott, der sich erhörend und seine Verheißung erfüllend ihm zuwendet. Christliches Beten ist, so gesehen, ein innertrinitarisches Geschehen.

Dieser neu verstandene Ausgangspunkt christlichen Betens fordert Konsequenzen für interreligiöses Beten. Der sich von seiner Geschöpflichkeit her verstehende Christ wird nicht davon absehen können und wollen, dass er sich mit allem, was sein Gott geschaffen hat, verbunden wissen darf , insbesondere mit den Menschen, die von seinem Schöpfer mit ähnlichen geschöpflichen Gaben ausgestattet worden sind wie er selbst. Menschen sind dazu angelegt, zu hören und zu sprechen, zu sehen und zu reagieren, Erinnertes zu bedenken und ihrer Sehnsucht Ausdruck zu verleihen.47 Im Glauben können Christen dessen gewahr werden, dass der Gott, dessen sie gewiss sind, auch ihren andersgläubigen Partnern dreifaltig nahe ist – in Kreativität, Gnade und Inspiration. Gerade der betende Christ ist sich aber auch dessen bewusst, dass er selbst wie auch alle anderen Menschen diesen frei geschenkten Gaben nicht entspricht, sondern sie vielfältig missachtet und missbraucht. Er weiß sich und alle Menschen auf die in Christus verheißene Gnade angewiesen. Er weiß sich in der Gemeinschaft nicht der „beati possidentes“, sondern der Sünder, die der Vergebung bedürfen wie eben auch die Angehörigen anderer Religionen. Er lässt sich erfüllen von Dankbarkeit, Liebe und Hoffnung, wie er sie auch all denen wünscht, die seinen Glauben an den dreieinen Gott nicht teilen. Im Gebet fragt er nicht danach, ob der Gottesbegriff seiner religiösen Partner in Ordnung ist; er weiß um die Unzulänglichkeiten seines eigenen Gottesglaubens. Er geht aber davon aus, dass der Gott, an den er glaubt, sich der Suche nach Erfüllung, nach Frieden und Linderung von Not niemandem versagen wird, wenn die „Erhörung“ auch anders aussieht als erhofft. Er begründet nicht phänomenologisch, ob und inwieweit er zusammen mit andersglaubenden Partnern beten darf. Er sieht sich vielmehr dazu legitimiert durch den dreieinen Gott, der die Gemeinschaft der Menschen geschaffen hat und durch Jesus Christus im Heiligen Geist zur Erfüllung bringen will. Wo anders sollte das auch missglückte, missratene, von Egoismus mitgeprägte Beten von Christen und Andersglaubenden ankommen als bei dem einen Gott, der sie alle geschaffen und ihnen allen Leben und Segen verheißen hat? Mit welchem Recht sollten Christen aus dieser großen Menschengemeinschaft sich herausnehmen und gegen das Gebet zusammen mit anderen verwahren dürfen?

Natürlich bleiben bei diesem Ansatz Fragen offen. Muss bei einem so verstandenen interreligiösen Gebet nicht wenigstens in irgendeiner Weise der Name Jesu genannt und bekannt werden? Der aus Südindien stammende Theologe Thanderaj meint dazu, der Platz für das explizite Bekenntnis sei wohl nicht in erster Linie das (öffentliche) Gebet. Jesus werde auch nicht ohne weiteres dadurch präsent, dass sein Name fällt. Christen seien zu einer Weise der Nachfolge aufgerufen, die weit über die Nennung des Namens Jesu hinausgeht. Vielleicht – vermutet er – „bezeugen wir den Geist Jesu gerade darin, dass wir seinen Namen nicht erwähnen.“48 Für bestimmte Situationen dürfte das gelten!

Es wird aber auch Situationen geben, in denen an den Namen und die Sache Jesu erinnert werden muss. Alle religiösen Traditionen kennen fehlgeleitetes Gebet, das sich nur um die Interessen des Betenden dreht oder explizit gegen die Belange des Nächsten wendet, womit es in die Nähe des Fluchs geriete. Fehlgeleitetes Gebet ist eine Versuchung in allen Religionen. Alles Beten bedarf der Reinigung und der Vertiefung.

 

4.3.4 Trinitarisch umgriffenes Vaterunser

 

Merkwürdig genug aber, dass der Name Jesu im Vaterunser nicht vorkommt. Die ostkirchlich orthodoxe Tradition fügt das trinitarische Bekenntnis daher in die Schlussdoxolgie ein. Als solches ist es formal ein nicht-trinitarisches, ein vor-trinitarisches Gebet. Der indische Theologe J. Russel Chandran findet es gut, dass „the prayer which our Lord taught us is not just a Christian Prayer, it is a universal prayer which can be used by anyone, irrespective of his / her religious affiliation. It is a most appropriate interreligious prayer.”49 In Indien wird es nicht selten auch von Hindus und Muslimen mitgebetet. Sogar für Deutschland wurde es vor Jahren von einem damals offiziellen Vertreter des Islam als gemeinsames Gebet für Christen und Muslime empfohlen.50 Dieses Votum dürfte nicht repräsentativ sein, aber es gibt zu denken.

Doch Christen werden ihre Bereitschaft zum interreligiösen Gebet von einem Gebetstext ebenso wenig abhängig machen wie von einer gemeinsamen Gebetsadresse. Sie werden auch das Vaterunser in trinitarischem Geist sprechen und dabei entdecken, dass es nicht nur „die Welt“, sondern auch „die Religionen umspannt.“51 Alles Beten auf Erden steht im Zusammenhang allen Betens. Das trinitarische Bekenntnis selbst ist in seiner logischen Unauflösbarkeit ein Hinweis auf den Gott, der höher ist als alle menschliche Vorstellungskraft, und es vermittelt doch zugleich die Gewissheit der Geborgenheit und des Heils, um das letzten Endes alle Betenden bitten. Das trinitarisch umgriffene Vaterunser bietet Christen die Basis, ohne Angst vor Synkretismus und Identitätsverlust das Pflichtgebet von Muslimen oder eine buddhistische Rezitation betend zu begleiten oder sich einem interreligiösen Gebet zu öffnen. Sie beten dann nicht nur neben, sondern mit und für die Andersbetenden in der Gewissheit, dass Gottes Name geheiligt wird, dass sein Reich kommt und dass sein Wille geschieht. Peter Bouteneff schreibt, er habe in Indien viele Hindus und Muslime gesehen, die das Vaterunser „gemeinsam mit Christen beteten, ohne unbedingt von der christlichen Lehre überzeugt zu sein.“ Wer habe das Recht, sie auszuschließen von dem Gebet, das „unser Herr der Menschheit geschenkt hat?“ Von hier aus gewinnt Bouteneff den Begriff des „integrativen“ Betens52, den ich für glücklich halte, weil er die mit „multi“ und „inter“ arbeitenden Vorstellungen überbietet.

Die Angehörigen nichtchristlicher Religionen sind eingeladen, ihrerseits zu prüfen, wie sie die Universalität ihres Betens verstehen wollen. Gerade Christen aber sind aufgerufen, aufgrund des weiten, ja unendlichen Horizonts ihres trinitarischen Gebetsverständnisses, das integrative und damit explizit auch das interreligiöse Gebet, wo es denn möglich ist, zu teilen und zu fördern – als „Dienst an der Weltgemeinschaft“53 und zur Ehre des dreieinen Gottes, den sie bekennen.

 

 

Hans-Martin Barth

 

 

Erschienen in: Adelheid Herrmann-Pfandt (Hg.), Moderne Religionsgeschichte im Gespräch. FS für Chriostoph Elsas, Berlin 2010, 126-145

1 Damit verbundene Erfahrungen sind in der Regel sehr persönlicher Art: Im Anschluss an die Kommunion in einer lutherischen Abendmahlsfeier ging ich auf einen mir befreundeten Benediktiner zu, um ihn, wenn er schon nicht teilnehmen konnte, zu umarmen; er aber saß – zu meiner großen Enttäuschung – ungerührt in seiner Bank.

2 Mir wurde das Problem erstmals deutlich bewusst, während ich – aus Anlass des I. Internationalen Rudolf Otto-Symposions in Marburg – neben einem schiitischen Imam in einem evangelischen Gottesdienst saß, als das „Gloria Patri“ gesungen wurde. Wie mag es, wenn in der christlichen Liturgie der Lobpreis des dreieinen Gottes angestimmt wird, einem Moslem ergehen?

3 Vgl. Die Friedensgebete von Assisi. Einleitung von Franz Kardinal König. Kommentar von Hans Waldenfels, Freiburg i.Br. u.a. 1987 (im folgenden: Friedensgebete).

4 Oft handelt es sich jedoch um Ausarbeitungen und Handreichungen von Kirchenleitungen, die eher an der praktischen Gestaltung und leider gelegentlich an der Verhinderung eines interreligiösen Gebets interessiert sind. Vgl. unten Anm. 24, 25, 27, 24.

5 Canon 1258 §1: „Haud licitum est fidelibus quovis modo active assistere seu partem habere in sacris acatholicorum.“

6 Zitiert nach Carl Joseph von Hefele, Conciliengeschichte, Bd. II, Freiburg 21875, 74.

7 Peter Bouteneff, Konfessioneller oder interkonfessioneller Gottesdienst? Eine innere Auseinandersettzung, in: US 57 (2002), 174-181 (Zitat: 179).

8 Kondothra M. George, Wie sollen wir in Zukunft gemeinsam beten? Anmerkungen zu den geplanten „Leitlinien für gemeinsames Gebet“, in: US 57 (2002), 182-184.

9 I.5., in: MdKI 52 (2001), 57-59.

11 Es ist die unterste Stufe des kanonisch Möglichen; es handelt sich um ein Gebet, das „auch von Frauen“ in Nonnenklöstern „verwendet“ wird. K. M. George (Anm. 8), 184.

12 In Assisi ging das interkonfessionelle Gebet sozusagen im Multireligiösen unter, ohne dass seine Problematik angesprochen oder gar gelöst worden wäre.

13 Vgl. Eva M. Synek, Pluralität innerhalb der Religionen, in: J. Figl (Hg.), Handbuch Religionswissenschaft. Religionen und ihre zentralen Themen, Darmstadt 2003, 734-757.

14 Bhagavadgita 9,23.

15 Lotos-Sutra 5.

16 So Rabbiner Dr. David Bollag brieflich an Frau Elisabeth Krause-Vilmar (mail 15.3.2009).

17 Näheres in: Murest. Multireligiöse Studiengruppe (Hg.), Handbuch Interreligiöser Dialog. Aus katholischer, evangelischer, sunnitischer und alevitischer Perspektive, AABF Alevitische Gemeinde in Deutschland, Köln 2007, 127-143. Dort wird leider nur die Möglichkeit eines gemeinsamen Gebets mit Christen, nicht aber die muslimischer Gruppierungen untereinander oder gar die von Muslimen mit Angehörigen der Religionen, die nicht zu den „Schriftbeitzern“ gehören, reflektiert.

 

18 Für Indien vgl. Ronnie Prabhu, My Experience of Interreligious Prayer, in: Pro Dialogo Bulletin 98, 1998/2, 223-225; vgl. 225.

19 Ebd. 224.

20 M. Thomas Thangaraj, A Theological Reflection on the Experience of Interreligious Prayer, in. Pro Dialogo Bulletin 98, 98/2, 186-196; vgl. 193.

21 Dazu gab es gelegentlich Beiträge in: Lotusblätter / Buddhismus aktuell (Zeitschrift der Deutschen Buddhistischen Union).

22 Leitlinien für das Gebet bei Treffen von Christen, Juden und Muslimen. Eine Handreichung der deutschen Bischöfe, 24. Juni 2008. 2. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Bonn 2008, 33 (im folgenden: Leitlinien). Man beachte die vorsichtige Titelformulierung! Hüseyin Inam differenziert sorgfältig zwischen dem Gebet innerhalb des eigenen Ritus ohne die Anwesenheit von Angehörigen anderer Religionsgemeinschften, der gastweisen beobachtenden Teilnehme am Gebet Andersglaubender, der gastweisen Teilnahme am Gottesdienst Andersglaubender und dem Beten nach eigenem Ritus am Gebetsort der anderen Religionsgemeinschaft (wobei immer Christen gemeint sein dürften). Alle diese Modelle hält er im Blick auf Muslime für legitim. Das multireligiöse Gebet im Sinne des Modells Assisi hält er für schwierig, weil notwendig den / die Partner provozierend, aber trotzdem für „am ehesten zuträglich“. Ein interreligiöses Gebet, das sich oft „eher an die evangelisch-christlichen Vorstellungen eines Gebets hält“, bleibe „den Teilnehmenden des islamischen Gebetsritus weiterhin (Druckfehler: weithin?) fremd.“ Ein „universelles oder transreligiöses“ Gebet, das den Forderungen von Koran 3,64 und 3,61 entspreche, falle vielen Christen schwer, weil es den Verzicht auf trinitarische Formeln impliziere. Murest (wie Anm. 16), 132-135. Sein alevitischer Kollege Dilek Öznur geht davon aus, dass Aleviten alle Religionen für gleichwertig erachten, was eine große Offenheit für das mit anderen Religionsgemeinschaften gemeinsame Gebet bedeute, „wenn die Glaubenspraktiken genauso geehrt und geachtet werden“ bzw. wenn die Teilnehmenden „ihren Glauben nicht als absolut in den Mittelpunkt stellen (…).“ Ebd. (wie Anm. 16), 139f.

 

23 Siehe Anm. 3.

24 Zitiert nach: Leitlinien (wie Anm. 21), 34.

25 Islam-Kommission der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Landeskirchenrat der Ev.-luth. Kirche in Bayern (Hrsg.), Multireligiöses Beten, München 1992.

26 So z.B. referiert von Johny Thonipara, Was hat es auf sich mit: „Interreligiöses Gebet“, „Multireligiöses Gebet“, „Gebet der Religionen“. Eine Handreichung, Arbeitsstelle Interreligiöses Gespräch / Ökumene im Evangelischen Dekanat Darmstadt-Stadt, Mai 2006, S. 6.

27 Leitlinien (wie Anm. 21), 33.

28 Ermutigung und Befähigung zur Begegnung von Christen und Muslimen. Eine Handreichung der Kammer für Mission und Ökumene für die Kirchenvorstände der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Zweite durchgesehen Auflage 2008, 28.

29 Leitlinien VI. Anhang (wie Anm. 21), 49.

30 Ebd. 33.

31 Ebd. 40.

32 Seine Beispiele: das Gebet Arjunas: „I just don’t know, what I am to do; teach me, as I take refuge in you”, oder eine Gebetstext einer Hinduheiligen aus dem 16. Jahrhundert, Meera Bai: „I am thirsting for your love, my Beloved! I shall make this body a lamp and my tender heart shall be its wick; I shall fill it with the scented oil of my young love and burn it night and day at your shrine, O Beloved.” R.Prabhu (wie Anm. 17), 223. Mir selbst legt sich oft die aus der heidnischen Antike stammende Formel nahe, die auch Rudolf Bultmann oft gebraucht hat: “Quod Deus bene vertat!”.

34 De oratione 33,6 (GCS 3, 402).

35 Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland. Eine Handfreichung des Rates der EKD, EKD Texte 86, 2006, 117. Vgl. dazu: Reinhold Bernhardt, Zur „Legitimität“ gemeinsamen Betens von Christen und Muslimen, in: Jürgen Micksch (GHg.), Evangelisch aus fundamentalem Grund. Wie sich die EKD gegen den Islam profiliert. Hg. im Auftrag des Abrahamischen Forums in Deutschland, Frankfurt a. M. 2007, 186-206.

36 Ebd. 18.

37 Vgl. oben Abschn. 2.2.

38 Vgl. Davon berichtet Aminda E. Sano, Interreligious Prayer, in: Pro Dialogo 98 98/2, 226-228. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die muslimisch-christliche Gebetsgruppe „Ribat es Salam“ („Friedensband“) von Tibhirine in Algerien, deren Initiative beendet wurde durch die Ermordung von sieben Trappisten. Das interreligiöse Gebet hat bereits Märtyrer hervorgebracht. Requiescant in pace!

39 Vgl. Prabhu (wie Anm. 17), 224; J. Russel Chandran, Theological Assessment of Interreligious Prayer, in: Pro Dialogo 98 98/2, 197- 207; vgl. 199f.

40 Vgl. Franco Sottocornola, Biblical Perspectives on Interreligious Prayer, in: Pro Dialogo 98 98/2, 166-185 (bes. 175-180).

41 Gerda Riedl, Modell Assisi.Christliches Gebet und interreligiöser Dialog in heilsgeschichtlichem Kontext, Berlin New York 1998, 93-188 (vgl. bes. 144, 188).

42 Friedrich Heiler, Das Gebet. Eine religionsgeschichtliche und religionspsychologische Untersuchung (1919), München 51923.

43 Riedl (wie Anm. 40), 28-91 (vgl. bes. 91).

44 Vgl. Hermann Lübbe, Religion nach der Aufklärung, 32004.

45 So der Titel eines Buchs von Josef Sudbrack, Freiburg i. Br. 1973.

46 Hans-Martin Barth, Wohin – woher mein Ruf. Zur Theologie des Bittgebets, München 1981, 112-206 (Zitat: 176)..

47 Vgl. die meditative Beschreibung dieses Sachverhalts von Jörg Zink, Unter dem großen Bogen. Das Lied von Gott rings um die Erde, Stuttgart Zürich 2001, 186f.

48 Thanderaj (wie Anm.19), 195.

49 Chandran (wie Anm. 38), 202.

50 Muhammad S. Abdullah; vgl. DtPfBl 80 (1980), 411.

51 Frei nach Helmut Thielicke, Das Gebet, das die Welt umspannt, Stuttgart 1946.

52 (wie Anm. 7), 184.

53 J. Thonipara (wie Anm. 25), 9. R. Prabhu (wie Anm. 17), 225, urteilt: „I believe that interreligious prayer, particularly non-sectarian prayer, is an important contribution of Christians to India today. It will not only bring together people of different religions in understanding and harmony, it will also help to purify the prayer of all religious traditions from excess of cult and rituals which make prayer distasteful to the younger generation.”