HNA Wochenend-Ausgabe 20./21. Dez. 2014
Frage: Herr Prof. Barth, viele Menschen feiern Weihnachten gar nicht mehr als christliches Fest. Sie haben ein Buch geschrieben „Konfessionslos glücklich. Auf dem Weg zu einem religionstranszendenten Christsein“. Worum geht es Ihnen da?
Prof. Dr. Hans-Martin Barth: Im Laufe der Zeit ist das Christsein sehr stark in verschiedene religiöse und areligiöse Traditionen geraten. Ich meine, diese religiösen Formen müssten transzendiert, also durchstoßen werden, damit der Kern der Botschaft von Weihnachten wieder erkennbar wird – auch für diejenigen, die sie nicht teilen, damit man nicht hängen bleibt an Kerzen, Christbaum, an Plätzchen und Lebkuchen und was da alles dazugehört.
Das Umfeld der Kirchen in hat sich Deutschland stark verändert. Es gibt immer mehr kirchenferne Menschen. Sie unterscheiden zwischen Atheisten, die den Gottesglauben ablehnen, und die Areligiösen, für die Kirche und Religion überhaupt kein Thema sind. Welche Haltung dominiert heute?
Barth: Also, es gibt nach wie vor die klassischen Atheisten, die nachweisen wollen, dass es Gott nicht gibt. Das ist eine Diskussion, die im Grunde schon seit dem 16. Jahrhundert läuft, Ich denke, das muss die Christen heute nicht nachhaltig beschäftigen. Was mir viel mehr Kopfzerbrechen macht, ist, dass viele Menschen Religion gar nicht mehr wahrnehmen als etwas, das zu ihrem Leben gehören könnte. So wie für manche Menschen der Sport oder die Musik völlig ausfällt. Ich finde das schade. Denn ich bin nach wie vor der Meinung, dass es mehr geben sollte als den grauen Alltag, den Kampf um das Dasein und das Geld und die Sorge um die Gesundheit.
Sie zitieren Forschungsergebnisse, wonach die Ansicht, dass Religiosität eine menschliche Grundeigenschaft sei, überholt ist. Was folgt daraus für Sie?
Barth: Zunächst scheint es mir wichtig, dass auch in der Wissenschaft wahrgenommen wird, dass die Religionsgeschichte sich offensichtlich weiterbewegt. Dass etwas im Werden ist, was sich noch nicht richtig fassen lässt, was aber mit Areligiosität und mit völligem religiösem Desinteresse zu tun hat. Europa scheint hier eine Vorreiterrolle zu spielen. Wenn sich hier tatsächlich eine Art Gabelung vollzieht zwischen einer religiös orientierten Menschheit und einer zunehmend areligiösen Gruppe von Menschen, dann heißt das für die Kirche, dass sie sich nicht nur auf die Religiösen konzentrieren darf, sondern versuchen muss, Wege zu finden, auch den Areligiösen verständlich zu machen, worin das Evangelium hilfreich sein könnte.
Was müsste die Kirche tun?
Barth: Sie müsste versuchen, ihr Ghettodasein aufzusprengen. Ich habe den Eindruck, dass die christlichen Gemeinden und die säkulare Gesellschaft mehr oder weniger nebeneinander her leben. Es gibt nur noch wenige Überschneidungszonen. Die Säkularen betreten die Kirchen allenfalls aus touristischen Gründen, und die Kirchgänger haben wenig Beziehung zur populären Kultur, zur gegenwärtigen Musikszene, zum Fußball oder was auch immer. Das Erste wäre, solche Überschneidungszonen zu suchen.
Wie könnten die aussehen?
Barth: Eine solche Überschneidungszone könnte das gemeinsame ethische Engagement sein. Ich habe mir sagen lassen, dass es in Berlin eine „Tafel“ gibt, die sowohl von einer christlichen Gemeinde wie von der religionskritischen Humanistischen Union betrieben wird. Das finde ich sehr interessant, weil auf diese Weise Kontakte zustande kommen, die es vorher nicht gegeben hat. Solche Überschneidungszonen im ethischen Engagement, in der Kultur, auch im Politischen würden der Kirche guttun. Es würde auch den Gemeinden guttun, wenn sich ein paar religiös Desinteressierte oder waschechte Atheisten bei ihr einfinden würden, damit das Gespräch zwischen beiden Seiten in Gang kommt.
Dafür müssten Christen Areligiosität als gleichberechtigte und akzeptable Haltung anerkennen. Würde den Gläubigen dann nicht die Kirche als Heimat fremd werden?
Barth: Das Problem der Akzeptanz einer anderen Weltanschauung oder einer anderen Religion besteht ja nicht nur Areligiösen und Konfessionslosen gegenüber, sondern auch gegenüber dem Islam und den anderen Weltreligionen. Ich meine aber, gerade Christen könnten entdecken, dass Menschen anderer Herkunft und Sozialisation in der Perspektive des Glaubens ernst genommen werden müssen. Kein Mensch ist nach christlicher Auffassung auf der Welt ohne den Willen Gottes. Schon vom Schöpfungsgedanken her ist diese grundsätzliche Akzeptanz eigentlich gegeben. Das heißt nicht, alle Profile und Konturen zu verwischen. Aber die Rede vom Heiligen Geist ist, wenn man den Glauben an den dreieinen Gott zugrundelegt, natürlich eine Rede, die sich an alle Menschen richtet, die sich ansprechen lassen. Von daher haben die engeren Kreise der Kirche ein Lernprogramm vor sich, den eigenen Glauben neu zu entdecken.
Wie weit soll die Kirche mit der Öffnung gehen? Etwa wenn Menschen, für die Taufe oder das Gebet kein Thema sind, am Abendmahl teilnehmen wollen. Wo soll es Abgrenzung geben?
Barth: Warum fragen wir immer nach der Abgrenzung? Was wir brauchen, ist nicht Abgrenzung, sondern Öffnung. Hinter der Frage der Abgrenzung steht ja die Angst, die Christen könnten ihre Identität verlieren. Unsere Identität besteht aber darin, dass wir als Christen offen sein können. Natürlich muss sich die Institution Kirche bestimmte Regeln geben, insofern ist Ihre Frage berechtigt. Aber sie muss an diesen Regeln nicht sklavisch hängen, sie kann sich öffnen, sie kann alle zum Abendmahl einladen, das ist in der evangelischen Kirche ja bereits möglich.
Sie halten eine Öffnung der Kirche für notwendig. Glauben Sie, dass areligiöse Menschen eine solche Öffnung überhaupt wahrnehmen?
Barth: Das ist eine Frage, auf die ich auch keine klare Antwort habe. Ich denke, dass Aufmerksamkeit für den christlichen Glauben sich doch in erster Linie im persönlichen Bereich vollzieht. Wo Menschen zeigen können, wie sie den christlichen Glauben leben, kommt auch etwas rüber. Aber auch die offizielle Kirche muss sich ein anderes Bild geben, sie muss zeigen, dass sie in der Lage ist, mit anderen Religionen und Weltanschauungen zu sprechen, ohne arrogant zu sein und um ihr eigenes Fortbestehen zu kämpfen. Weil es ihr um die Sache geht, von der sie lebt.
Derzeit gibt es vor allem im Islam starke fundamentalistische Tendenzen. Das scheint bei manchen Christen zu einer ebenfalls fundamentalistischen Abwehrhaltung zu führen. Wie sehen Sie dieses Problem?
Barth: In der Tat ist es so, dass einige Christen Angst bekommen und das Gefühl haben, sich abgrenzen und einigeln zu müssen. Vor allem in der Dritten Welt ist der Fundamentalismus auch unter Christen sehr verbreitet. Die christlichen Gemeinden müssen dafür sorgen, dass intern ein fruchtbares Gespräch zwischen Fundamentalisten und eher säkular gestimmten Christen zustande kommt.
Zum Schluss die Frage: Wie feiern Sie selbst Weihnachten?
Barth: Ich habe mich umgetan, ob es in Marburg Aktionen mit Flüchtlingen oder auch mit Obdachlosen gibt, an denen ich mich beteiligen könnte. Ich habe noch keine definitive Antwort bekommen. Im Übrigen haben wir einen koptischen Theologiestudierenden im Haus, mit dem zusammen wir feiern werden. Und ich werde mit meiner Frau zusammen Gottesdienste besuchen und hoffen, dass Predigten gehalten werden, die nicht abschrecken, sondern das Frohmachende an Weihnachten rüberbringen.