Theologie für Glaubende und Andersdenkende

Der Ring Rudolf Ottos

Zu den Kuriositäten, die der Marburger Systematische Theologe und Religionswissenschaftler Rudolf Otto (gest. 1937) hinterlassen hat, gehört ein Fingerring. In einer Akademischen Matinee wurde dieser Ring am 1. Dezember 1990 von Prof. D. Carl Heinz Ratschow, der sich besonders für das Erbe Ottos verantwortlich fühlte, an seinen Nachfolger, Prof. Dr. Hans-Martin Barth übergeben. Ratschow hielt eine kleine Ansprache, Barth antwortete mit einem längeren Votum, in dem er sein Verhältnis zu Otto beschrieb. Die ganze Aktion stand im Zusammenhang einer Neuordnung des Erbes von Rudolf Otto, der ein kompliziertes Testament hinterlassen hatte. Unter anderem der Theologischen Fakultät sollte ein Teil des Verkaufs einer Immobilie in der Sybelstraße zugutekommen. Damit wurden gewisse finanzielle Mittel frei, die nun von der Universität zu verwalten waren. Barth fiel nun die Aufgabe zu, unter dem eigenartigen Titel eines „Rudolf Otto-Beauftragten“ des Fachbereichs Evangelische Theologie sich darum zu kümmern. Mithilfe der genannten, immer eigens zu beantragenden Mittel und unterstützt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, konnte er zusammen mit engagierten Kollegen fünf mehrtägige Internationale Rudolf Otto Symposien vorbereiten und durchführen, die alle dokumentiert sind (1993, 1996, 1999, 2002, 2005; ebv Rissen / Hamburg / Berlin). Neben „Bild und Bildlosigkeit in den Religionen“ wurden die Hermeneutik des Islam sowie Probleme religiöser Minderheiten und die „Überwindung von Gewalt“ thematisiert. Einzelne Texte sind ins Japanische übersetzt. Ein besonderer Glücksfall war es, dass Prof. Dr. Michael Pye die Verbindung zur Otani University in Kyoto herstellen konnte. Daraus erwuchs ein eigenes Symposion „Buddhismus und Christentum vor der Herausforderung der Säkularisierung“ (2003). Nach Barths Emeritierung übernahm Prof. Dr. Christoph Elsas die Verantwortung für die Fortführung der Symposien.

Eine Gastvorlesung aus Anlass des 75. Geburtstags von Prof. Dr. Hans-Martin Barth bot die Gelegenheit, den Ring nunmehr an seinen Nachfolger, Prof. Dr. Jörg Lauster, weiterzugeben, zumal sich Lauster durch ein respektables Symposion zur Theologie Rudolf Ottos um das Erbe dieses großen Marburger Theologen verdient gemacht hatte. Barth überreichte ihm den Ring mit einem launigen, nach altem akademischem Brauch lateinischen Votum:

Anulus e possessione Rudolfi Ottonis, a Carolo Heinzio Ratschovio olim mihi traditus et fideliter a me conservatus, hodie testibus illustribus multis convocatis

traditur ac dedicatur

Professori illustrissimo et doctissimo Georgio, qui Germanice apellatur Jörg, Lauster.

Laus ter ei tribuenda est: primum de hereditate scientifica illius Rudolfi Ottonis non solum bene, sed optime meritus est.

Deinde idoneus maximus est ad communicandas ideas et cognitiones de philosophia religionum.

Postremo vir est maximae benignitatis et liberalitatis, semper paratus ad cooperationem cum collegis variarum disciplinarum et facultatum. Doctisssimus ac illustrissimus doctor Georgius Lauster videat ac agnoscat hanc reliquiam scientificam impulsum ad investigandum opus scientificum illius Ottonis et signum visibile mercedis industriae suae et laboris sui erga Ottonem praestiti.

Utinam industria et cooperatio investigatorum, magistrorum et alumnorum huius scholae theologicae felicem exitum semper consequantur!

Utinam Deo bene volente studium Sanctae Theologiae et religionum variarum in hac academia nostra Marburgensi feliciter vivant, crescant, floreant – ad multos annos!

Der Ring ist nicht kostbar. Eine floreal gestaltete Metallfassung, wohl Silberlegierung, umschließt einen blauen Stein ohne Gravur, vermutlich Lapislazuli. Nach Meinung von Dr. Martin Kraatz könnte er aus Indien stammen. Barth hat den Ring nie getragen; es wäre auch sehr unbequem. Aber er ist eben doch so etwas wie eine wissenschaftliche „Kontaktreliquie“, die vielleicht den Träger zu neuen Taten im Umfeld der Ausstrahlung Rudolf Ottos ansteckt. Barth hofft, dass die interreligiöse Arbeit an unserem FB fortgesetzt werden könnte; Marburg und Rudolf Otto wären mit ihren in der Welt bekannten guten Namen dafür eine erste Adresse. Vorläufig läuft sie auf kleiner Flamme weiter in Gestalt des Marburger Runden Tischs der Religionen, den Prof. Barth 2006 zusammen mit Pfarrer Dietrich Hannes Eibach gegründet hat. Sie scheint nicht nur angesichts der an vielen Stellen der Welt aufbrechenden Konflikte zwischen den Religionen dringend geboten. Sie leistet einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag.

 

Hans-Martin Barth

(Freundeskreis Marburger Theologie Mitglieder-Rundbrief 2014/15, 52f).